1. Vorgeschichte des Aufstandes
„In Frankreich beauftragt der König die Girondisten mit der Neubildung der Regierung. Der neue Außenminister Dumouriez fordert Österreich (erwartungsgemäß ergebnislos) zur Abrüstung in Belgien auf. Die Nationalversammlung erklärt Österreich, das mit Preußen verbündet ist, am 20.4. den Krieg."[1] Als 1792 der Krieg zwischen dem von der Revolution geprägten Frankreich und der Monarchie Österreich (in Koalition mit Preußen) ausbrach, stehen auch einige Tiroler Schützenkorps bereit die österreichischen Niederlande vor Ort zu verteidigen. Motive zur Kriegserklärung waren die „[...] Durchsetzung der Errungenschaften der Revolution auch in anderen Ländern und Sicherung der >>natürlichen Grenzen<< Frankreichs im Alpen- und Rheingebiet. Beides führte zur Gegenaktion der europäischen Mächte, die an der Erhaltung des Status quo interessiert sind."[2] Die Koalitionskriege erschüttern in den nächsten Jahren Europa und auch in Tirol kam es 1797 zu Kampfhandlungen. „Während die Hauptarmee Napoleons durch Friaul, Kärnten und Steiermark vorrückte, gelangte ein französisches Korps unter General Joubert im März 1797 über Trient und Bozen bis nach Brixen. Am 2. April 1797 kam es zu einem allgemeinen Angriff der österreichischen Truppen und des aufgebotenen Landsturmes von Süd- und Nordtirol auf die Stellung der Franzosen im Eisacktal."[3] Der vor allem aus Nordtirol stammende Landsturm vereinte sich bei Sterzing mit den regulären österreichischen Truppen. „In den Morgenstunden des 2. April 1797 hatten die unter dem Kommando des Schützenmajors Philipp Wörndle stehenden Männer das so genannte Valser Joch erreicht. Und von dort drangen nun rund 4600 Mann ins Tal herab und griffen die Franzosen beim kleinen Ort Spinges an. [...] Das hier, in Tirol, waren freie und freiwillige kämpfende Männer, >>citoyens<<, die wussten, wofür sie ihr Leben einsetzten. Erstmals in dem nun schon ein halbes Jahrzehnt dauernden Krieg erkannten die Franzosen, dass sie einem neuen Feind gegenüber standen - einem Gegner, der nicht nur nicht vom Joch des Feudalismus >>befreit<< werden wollte, sondern viel mehr sie, die Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit verbreiten sollten, als Todfeinde ansah. So wandelte sich in den Bergen Tirols erstmals der Krieg des republikanischen Frankreichs gegen das monarchische Österreich aus einer Auseinandersetzung zwischen Revolution und Feudalismus in einen nationalen Krieg. Soldaten der >>Nation Francaise<< kämpften gegen die auf ihre nationale Eigenart und heimatliche Integrität bedachten Bewohner des Alpenlandes."[4] Obwohl in meinen Augen mit dem Begriff der „nationalen Eigenart Tirols" äußerst vorsichtig umgegangen werden muss, erfasst Magenschab ein Novum inmitten der Koalitionskriege: französische Soldaten stehen keiner von einer Herrschaft verordneten militärischen Streitmacht gegenüber, sondern einem sehr gut strukturierten, motivierten Landsturm, der nicht so leicht wie österreichische Söldnertruppen zu desillusionieren war und um dessen Erfolge sich in späterer Zeit zahlreiche Legenden rankten. Jedenfalls war nach dem Ende des ersten Koalitionskrieges die Tiroler Landeskasse leer geräumt, Adel bzw. Kirche hatten ihre Aufgabe zur Verpflegung der Militärs und Schützen mehr schlecht als recht erfüllt und die Bistümer Brixen bzw. Trient verloren ihre Jahrhunderte alten Sonderrechte.
Erzherzog Johann, inspiriert vom Landsturm der Tiroler 1797, wollte im gesamten Herrschaftsbereich der Habsburger eine Volksbewaffnung durchsetzen, um so eine allgemeine und totale Landesverteidigung zu schaffen, denn die „einfachen Leute" hätten ausgezeichnete Kenntnis über das lokale Terrain, zudem wären sie hoch motiviert ihre unmittelbare Heimat energisch zu verteidigen - ja, in Zusammenarbeit mit regulären Truppen des Militärs wären solche Einheiten sogar in der Lage einem überlegenen Feind lang andauernden Widerstand zu leisten. Dieses Konzept fand keine flächendeckende Ausführung in den Habsburgerlanden, denn die geadelten Eliten des Militärs misstrauten meist dem Pöbel in Waffen. 1802 kam es dennoch zum so genannten „Landschaftskongress" in Tirol, bei dem Reformen des alten Landlibells beschlossen wurden. „Bis maximal 20 000 Mann sollten im Falle der Kriegsgefahr aufgeboten werden und bereits vorher namentlich in Rollen verzeichnet sein, rund 10 000 Mann ständig in Waffen stehen und auch regelmäßig Übungen abhalten. Die Zugehörigkeit zu einer Kompanie sollte acht Jahre dauern, was die beachtliche Leistung unterstreicht, die die Bauern zu erbringen hatten. Das Entscheidende war wohl, dass die Bestellung der Chargen weiterhin durch demokratische Wahl erfolgen sollte; ein im Bereich der Landesverteidigung sonst überall in der weiten Monarchie undenkbarer Vorgang."[5] Dies alles konnte durchgeführt werden, da es Erzherzog Johann selbst war, der konsequent die Aufstellung und Bewaffnung der Landesmiliz vorantrieb - so erhielten auch die Tiroler Schützen adelige Unterstützung und verbesserte Ausrüstung.
1805, nach der Niederlage bei Ulm, stieß Napoleon - im Zuge der nicht mehr aufzuhaltenden Koalitionskriege - durch das Donautal in Richtung Wien vor, weswegen Kaiser Franz I. von Österreich anordnete, alle verfügbaren Truppen zum Schutz der Reichshauptstadt einzusetzen. Erzherzog Karl sollte in diesem Sinne mit seiner Italienarmee über Kärnten nach Nordosten marschieren und Johann wurde befohlen die regulären österreichischen Truppen aus Tirol abzuziehen, die Tiroler Miliz musste bei der Landesverteidigung allein zurecht kommen. „In seinen letzten Aufrufen gebot Johann das Ende eines weiteren Widerstandes, den er für nutzlos ansah, sowie Ruhe und Ordnung. Die Bevölkerung Tirols sollte sich kampflos in das Unvermeidliche fügen."[6] Festzuhalten bleibt hier, dass der Erzherzog ohne die Unterstützung der regulären Truppen kaum Überlebenschancen für die Milizen sah. Marschall Ney konnte daher ohne nennenswerten Widerstand in Tirol einmarschieren, während die Kommandanten der Schützen mit Erzherzog Johann im osttirolerischen Lienz das Abkommen trafen, vorerst keinen bewaffneten Widerstand zu leisten, denn nach der Abwendung der Gefahr für Wien versprach der Erzherzog die Wiedereroberung Tirols mit Hilfe kaiserlicher Truppen - für die zu verstreichende Zeit wurde reger Informationsaustausch vereinbart. Am 2. Dezember 1805 erlitten die österreichischen Truppen bei Austerlitz eine folgenschwere Niederlage - Erzherzog Johann und Karl waren außerdem zu spät am Schlachtfeld erschienen.
„Am Tag nach Austerlitz verkündete der bayrische General Siebein, dass Napoleon ihm die Besetzung Tirols überlassen habe; er versprach, falls Ruhe und Ordnung eingehalten würden, eine anständige Behandlung der Bevölkerung: Religion, Person und Eigentum der Tiroler sollten gewahrt bleiben."[7] Anfangs schien die bayrische Besatzung sich an diese Proklamation zu halten, aber selbst durch die Kriegswirren in finanzielle Abgründe gestürzt, verlangte sie vom Tirolerischen Landesteil Reperationszahlungen von neun Millionen Franken, die kaum einzutreiben waren, außerdem war es bereits kurz nach Beendigung der Kampfhandlungen zur Konfiskation öffentlicher Kassen und diverser Vorräte durch die französische Armee gekommen. Am 26. Dezember 2005 wurde im Frieden zu Pressburg schriftlich fixiert, dass Tirol und Vorarlberg an die Bayern fielen, wodurch zwischen dem napoleonischen Oberitalien und Süddeutschland eine stabile Verbindung entstand. In diesem Vertrag übernahm der König von Bayern mit gleichen Titeln, Rechten und Pflichten Besitz von Tirol, wie sie zuvor Kaiser Franz besessen hatte, der in diesem Dokument letztmalig als „Kaiser des heiligen römischen Reiches deutscher Nation" angesprochen worden war. In Folge dessen war die oft zitierte „landständische Verfassung Tirols" die Grundlage der alten, wie der neuen Herrschaft - der neue Landesfürst musste die alten Rechte bestätigen, wenn er seinen Untertanen Befehle erteilen wollte. Gemeint war damit jene schriftliche Vereinbarung aus dem 14. Jh., in der Margarete Maultasch ihrem Gemahl Markgraf Ludwig von Brandenburg folgende Rechte abverlangte: vertragliche Fixierung der territorialen Einheit des Landes ebenso, wie die fortwährende Gültigkeit der seit Meinhard II geltenden Rechte und Gewohnheiten. „Der Freiheitsbrief vom 28. Jänner 1342 ist die schriftlich festgelegte Grundlage der tirolischen Verfassung. Er wendet sich an alle, an die Geistlichkeit und den Adel, die Stadt-, Markt- und Dorfgemeinden, an edel und unedel, reich und arm. Er enthält bereits die drei wichtigsten Merkmale einer echten Volksvertretung mit den Aufgaben: Steuerbewilligung, Gesetzgebung und Kontrolle der Regierung."[8] Diese Bewertung des Vertragswerks dürfte mehr ein Wunschdenken diverser Historiker sein, real hingegen war die Herrschaftspraxis der Wittelsbacher in Tirol: bereits Ludwig von Brandenburg setzte sie sich im 14. Jh. über verbriefte Rechte hinweg, von verfassungsähnlichen, einklagbaren Rechten der Tiroler Bevölkerung ist hier keine Spur zu erkennen. Zu Zeiten Napoleons war die realpolitische Situation kaum anders, der so genannte „Freiheitsbrief" aber längst zum Mythos und Grundstein spezifischer Landesidentität geworden. Nichtsdestotrotz trat am 1. Mai 1808 eine neue, zentralistisch orientierte Verfassung für ganz Bayern in Kraft. Das bedeutete neben der Aufhebung der landsständischen Klöster, der Übertragung der Steuerveraltung von den Ständen auf die neu eingerichteten bayrischen staatlichen Organe auch eine neue verwaltungstechnische Einteilung Tirols nach dem französischen Muster der Departements: das Land wurde in drei Kreise gegliedert, diese wiederum nach den Hauptflüssen Inn, Eisack und Etsch benannt, wodurch der Name „Tirol" von der Landkarte verschwand und durch „Südbayern" ersetz wurde. „Dazu kam, dass auch die alte ständische Verfassung Tirols außer Kraft trat. Der Landtag, der ohnehin nur ein Schattendasein geführt hatte, war nun nicht mehr oberstes Organ. Die den Habsburgern abgerungenen Privilegien - von der Wehrverfassung bis zum Recht auf eigene Beamte - wurden mit einem Schlag ausgelöscht; damit war aber, wie Spitzfindige bald herausfanden, auch der Pressburger Friedensvertrag verletzt."[9] Während die historische Forschung diese Annahme verneint und beginnend mit dem Rechtshistoriker Voltelini[10] auf der Ablehnung dieses Rechtsarguments besteht, sahen die Zeitgenossen Hofers die Rechtslage anders. „Josef Freiherr von Hormayr hat diese Verletzung als Hauptursache des Aufstandes hingestellt, und von Erzherzog Johann wurde sie in seinem Aufruf eindeutig als Vertragsbruch deklariert."[11] Abgesehen von dieser Problematik, war es dem einfachen Mann der damaligen Zeit wohl egal, welche verfassungstheoretischen Rechtfertigungen als Grundlage für einen Aufstand herangezogen worden waren, Realität war, dass die viel beschworenen Landtage in Tirol bereits Seltenheitswert hatten. „Die Stände jedoch erhoben unter Berufung auf die schon erwähnte Stelle im Pressburger Frieden schärfste Proteste."[12]
Während der bayrische König unentschlossene Politik betrieb und der Tiroler Bevölkerung grundsätzlich positiv gegenüber stand, hatten „[...] die bayrischen Minister mit dem Land im Gebirge etwas anderes vor. Aufgeklärt und weltgewandt, wollten sie aus dem neuen bayrischen Königreich eines machen: ein einheitliches Gebilde nach französischem Vorbild, einen Staat mit moderner Verwaltung, der keine Sonderrechte duldete; man wollte die Bildung heben und die Wirtschaft, ein gerechtes und vernünftiges Steuersystem einführen und all jene Reformen verwirklichen, die sich im revolutionär- konsularischen und jetzt kaiserlichen Frankreich bereits glänzend bewährt hatten."[13] Der wichtigste Vertreter dieser Politik war Maximilian Karl Josef Freiherr von Montgelas, der „Erste" bayrische Minister, verantwortlich für das Innenministerium und die Finanzen. In diesem Sinn benötigte der aufgeklärte Adelige zusätzliche Gelder, um den Aufmarsch der bayrischen Armee für die Sache Napoleons finanzieren zu können, weswegen der Minister bestehende Steuern und Gebühren erhöhte. Die Tiroler waren unter habsburgischer Herrschaft ihrerseits gewohnt, dass die diversen Salz-, Post- und Mautgebühren im Land verblieben, während nun diese Gelder von der Zentrale in München beansprucht wurden. „Der tirolerische Handel, der stets ein Zwischenhandel zwischen Italien und Süddeutschland gewesen war, und die Absatzmärkte in Österreich und Italien waren aufgrund des Napoleonischen Prohibitionssystems durch schwere Zölle nahezu gänzlich versperrt, was etwa in der Messingindustrie zu katastrophalen folgen führte."[14] Die Einführung einer Kopfsteuer, welche zur Finanzierung der im Land stehenden bayrischen Truppen verwendet wurde, die Eliminierung aller Binnenzölle auf dem neuen bayrischem Gebiet und auch die Auswirkungen der durch Napoleon erfolgten Kontinentalsperre trafen Tirol, das als Transitland vom Durchzug diverser Waren lebte, mit unverminderte Härte. „Italienische Häfen mussten ihren Warenumschlag praktisch stilllegen; und auch der von Oberitalien in die Mitte des Kontinents führende Handel kam zu Erliegen. [...] Dazu kam, dass die Regierung den Export von Tiroler Vieh nach Altbayern verbot. [...] Dafür empfand man in Tirol den Verlust der Handelsmöglichkeiten mit Österreich, in Jahrhunderten aufgebaut, doppelt schwer." [15] Vor allem das Südtiroler Obst und der Südtiroler Wein waren in der Vergangenheit nach Österreich gehandelt worden; Spinnereien, Manufakturen und Großbauern mussten ihre Arbeitskräfte entlassen, die Gastwirte mussten Einquartierungen der bayrischen Soldaten kritiklos und auf eigene Kosten hinnehmen. „Es wurde das minderwertige österreichische Papiergeld abgeschafft und seine Einlösung nach dem niedrigen Kurswert gegen bayrisches Silbergeld angeordnet. Das bedeutete, dass Kredite, die seit 1797 in österreichischem Papiergeld aufgenommen worden waren, nach ihrem Nennwert in Silber zurückgezahlt werden mussten."[16]
Der resultierende Unmut der einheimischen Bevölkerung bzw. die zahlreichen Privatkonkurse wurden von Montgelas einerseits durch Zensur unterdrückt, andererseits unbeabsichtigt massiv angeheizt, da die neue bayrische Verfassung es ermöglichte, Tiroler zum Wehrdienst in der bayrischen Armee heranzuziehen - die alte Wehrverfassung war stillschweigend aufgehoben worden. 1807 hatten die Bayern noch Freiwillige für den Wehrdienst geworben, beim Ausrücken des ersten Jägerbataillons über die Tiroler Grenzen liefen bereits mehr als ein Drittel der Soldaten davon. „Es überrascht deshalb nicht, dass von österreichischer Seite die Tiroler Jugend zur Fahnenflucht förmlich ermutigt wurde. Erzherzog Johann forderte sie geradezu auf, ohne Gewalttätigkeiten in das Salzburgische oder nach Kärnten zu flüchten. Dort wurden eigene Werbekommandos für desertierte Tiroler Jäger aufgestellt."[17] Anfang 1809 begannen die systematischen Aushebungen mit größter Schärfe, denn die bayrische Regierung erkannte, dass ein Aufstand kaum möglich war, wenn die waffenfähige Jugend außer Landes gebracht wurde. Diese wurde aber ebenso für das Funktionieren der Landwirtschaft in Tirol bitter benötigt. „Als ein Militärergänzungsstatut des bayrischen Kriegsministers erging, stieß es in Tirol auf hellste Empörung. Tausend Mann sollten demnach in Tirol zur Komplettierung der bayrischen Regimenter mit sechsjähriger Dienstpflicht ausgehoben werden: Burschen im Alter von 19 bis 21 Jahren. [...] Militärpatrouillen durchkämmten jetzt die Wirtshäuser nach Stellungspflichtigen - und vertrieben erst recht die jungen Burschen, obwohl ohnehin zahlreiche Befreiungen von den Behörden erteilt worden waren. Viele Fahnenflüchtige versteckten sich im Land selbst - auf Bergbauernhöfen, in entlegenen Hütten und auf Almen."[18] Andere junge Männer widersetzten sich mit Gewalt der Stellungskommission. „So fielen Mitte März in Predazzo im Fleimstal die ersten Schüsse. Ebenso kam es in Axams am 13. und 14. März zu offenen Kampfhandlungen zwischen der heimischen Bevölkerung und dem Militär."[19]
Auch auf religiösem Gebiet schufen die Bayern Reformen, welche von der Tiroler Bevölkerung als „gottlos" und „teuflisch" aufgefasst wurden - die Losung der Tiroler Geistlichen war, dass „der Wolf über Altar und Gemeinde" kommt. In Wirklichkeit hatte sich im Gebirgsland über Jahrhunderte heidnisches Gedankengut gehalten und war in den katholischen Glauben mit Hilfe des Brauchtums integriert worden, so gab es böse und gute Geister, Hexen und Engel, welche die Kräfte der Natur beeinflussen konnten. „Man band den Toten die Füße zusammen, um ihre Wiederkehr zu verhindern, Feldfrüchte wurden >>besprochen<<, um Schaden von ihnen abzuwenden [...] Wetterleuten und Wettersegen, als Mittel zur Vertreibung des Bösen [...] Exorzismen waren in Tirol an der Tagesordnung und wurden nunmehr zu >>Albernheiten<< erklärt."[20] Daher wurden eigene aufgeklärte Geistliche aus Bayern importiert, welche schrittweise den Tiroler Bestand ersetzen sollten - waren die Kirchen doch potentielle Versammlungsorte aufwieglerischer Elemente und wollte man die „Rosenkranz drehenden Speckknödelfresser ins 19. Jahrhundert bringen, wenn nötig mit Gewalt."[21] Die einheimischen Priester hingegen ließen sich nicht vertreiben, waren sie doch von den Einheimischen als Autorität akzeptiert und hielten ihre Messen versteckt in Höfen oder Kellern ab. „Die Verhaftungen und Deportationen von Priestern, die Landesverweisung von Bischöfen und die Vertreibung der geliebten Bettelmönche waren reichlich geeignet, im Denken des einfachen Volkes die Vorstellung einer rigorosen Christenverfolgung entstehen zu lassen."[22] In diesem Sinne erfolgte eine Interessensverschmelzung seitens der bigotten Tiroler Bevölkerung: der Kampf für die Eigenständigkeit Tirols war zu einem Kampf für den Glauben, die gerechte Sache Gottes geworden. Den Bayern wurde vorgeworfen, das Tiroler Volk den Mächten der Finsternis zum Fraß vorzuwerfen, die Befehlshaber in München wurden als gottlose, von Freimaurern durchdrungene Ausbeuter gesehen und wiederholt kam es zu religiösem Antisemitismus „Vergessen war, dass das aufgeklärte Österreich ein Vierteljahrhundert vorher ganz ähnliche Reformen[23] erzwingen wollte wie nun die Bayern: eine Umstellung der Amtskirche unter den Staat, die Neuordnung des kirchlichen Besitzes und die Reform des Kultes."[24] Die Bischöfe von Brixen und Trient gingen ihrer Sonderrechte verlustig, eine staatlich kontrollierte bzw. eingesetzte Kirchenpolizei überwachte Predigten der Priester, Klöster wurden aufgehoben und ihr Vermögen eingezogen. Verboten wurden in weiterer Folge die zuvor in Unmenge gehaltenen Prozessionen, Bittgänge, Wallfahrten, exzessives Glockenläuten bzw. Kerzengebrauch. „Die ganze kirchliche Konfliktsituation hat ihren Ursprung in der Anschauung einer vom aufgeklärten Absolutismus beseelten Regierung, dass sich die Kirche völlig dem staatlichen Interesse und der staatlichen Verfügungsgewalt unterstellen habe. Das besagt allerdings nicht, Bayern habe eine Nationalkirche zu installieren versucht! Die unentwegten Bemühungen um eine Verständigung mit der Kurie sprechen sehr dagegen."[25] Vor allem die Kapuziner riefen im Untergrund zum offenen Widerstand in den Kirchen auf und rechtfertigten ihn theologisch als Gottes Willen. „Unter diesen Kapuzinern befand sich auch ein junger Pater mit rotem Bart, der sich besonders heftig wehrte und den bayrischen Offizieren mit Beschimpfungen arg zusetzte: Joachim Haspinger. 1776 geboren, war der Bauernsohn bereits 1797 in den Schützenverbänden aktiv gewesen, bevor er noch in den Kapuzinerorden eintrat. Er wurde Prediger in Schlauders im Vintschgau, wo er wahrscheinlich Andreas Hofer kennen lernte. 1808 war der 32 jährige eine der populärsten Figuren des ganzen Burggrafenamtes und mit seinem roten Bart der fanatischste Reaktionär im Meraner Kirchenkampf."[26] In Konflikt mit den Bischöfen kam die bayrische Regierung, wenn es um die Besetzung der Pfründe, oder um die Regelung zur Heranbildung des Klerus (zu Priestern geweiht sollten nur mehr jene Männer werden, die an einer staatlichen Universität einen theologischen Abschluss erlangt hatten) ging, was in den gescheiterten Konkordatsverhandlungen mit Bayern gipfelte. Auch im gesellschaftlichen Bereich scheiterte der aufgeklärte Absolutismus der Bayern an der barocken Religiosität der Tiroler. „Aus Vernunft versuchten die Bayern auch, ihre Pockenschutzimpfungen den Tirolern plausibel zu machen. In einem Land aber, in dem man lieber zu dem jeweils zuständigen Heiligen betete, als den Bader aufzusuchen, musste die wohlmeinende Maßnahme nur Kopfschütteln auslösen."[27] Diese Analyse stimmte nicht für die städtische Bevölkerung des Landes, denn diese war mit den aufklärerisch gesinnten Bayern einverstanden, ja befürwortete theoretisch die Ideen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Von den neuen Herren versprachen sie sich eine Belebung des Handels, damit Prosperität, eine neue Blüte der Kultur und der Bildung. „Im Großen und Ganzen jedoch dominierte eine Schärfe, die so manche heute hochmodern zu nennende Maßnahme (beispielsweise die Kinderimpfungen und das Vorgehen gegen die Unzahl von Kurpfuschern) als verhasste Zwangsmaßnahme erscheinen ließ."[28]
„Nun kann keinesfalls die These aufrecht erhalten werden - die auch zu einer unausrottbaren Legende geworden ist: dass nämlich der Aufstand in Tirol völlig unerwartet für die bayrischen Behörden und wie ein Gewitter über das Land gekommen wäre oder dass nur die Wiener Regierung durch Panikmache oder Hetze in Tirol ein kritisches Klima erzeugt hätte."[29] Erstere Behauptung stammte aus der Feder des Josef Freiherr von Hormayr und wurde so vehement im ganzen Land verbreitet, dass sie zum Allgemeingut Tiroler Erinnerung wurde, aber aus heutiger Sicht eindeutig ins Märchenreich verwiesen werden muss. Minister Montgelas sah mit Beunruhigung der Entwicklung zu, während der bayrische Generalleutnant Wrede ihn beruhigte und versicherte, jedmöglichen Aufstand der Tiroler Bevölkerung mit seinen Truppen im Keim ersticken zu können. „Der französische Gesandte in München, graf Otto, wusste von den geheimen Korrespondenzen zwischen Tirol und Österreich, der bayrische Gesandte in Wien, Freiherr von Rechberg, bestätigte die schlechten Nachrichten aus Tirol. Berichte aus Brixen meldeten die feindliche Stimmung in der Bevölkerung. Man erfuhr von den Deputationen nach Wien."[30] Die bayrische Regierung initiierte vermutlich wegen ihrer Abhängigkeit von Napoleon und seinen Kriegsplänen kein militärisches Eingreifen, glaubte der Korse selbst kaum an einen Einmarsch der Österreicher in Tirol, bzw. war ihm das Gebirgsland strategisch nicht von enormer Bedeutung, denn die Entscheidung im Krieg mit Österreich musste laut seinem Konzept an der Donau fallen. Zugleich rüstete sich das geschlagene österreichische Kaiserhaus für einen neuen Krieg und erklärte es zu seiner Pflicht, die Völker des einstigen „heiligen römischen Reiches deutscher Nation" zu befreien - Erzherzog Johann, der sich für den Landsturm bei seinem Bruder Franz stark gemacht hatte, wurde Landwehrinspektor für Innerösterreich, während sich der Berufsoffizier und Befehlshaber der österreichischen Truppen Erzherzog Karl diesem Gedanken gegenüber distanziert verhielt, genauso wie er die Eroberung Tirols nicht als vorrangiges Kriegsziel anerkannte. „Vom rein strategischen Standpunkt aus aber schien Tirol von entscheidender Bedeutung zu werden, konnte es doch die Verbindung zwischen den feindlichen Armeen in Deutschland und Italien versperren, mehr noch - von Tirol aus konnten Vorstöße gegen Norden und Süden den Rückzug des Feindes empfindlich stören. [...] Die Beziehungen zwischen Tirol und Wien waren eigentlich nie abgebrochen. Schon 1806 fuhr eine Bauernabordnung nach Wien, um ihre Beschwerden über die bayrische Regierung zu deponieren."[31] Ermuntert vom Churer Bischof Buol und unter maßgeblicher Anteilnahme der Tiroler Wirte, kam es zu regelmäßiger Korrespondenz mit Wien, man errichtete in weiterer Folge sogar Spionagedienste ein und Abgeordnete der Tiroler Schützen, namentlich Nessing (Kaffeesieder aus Bozen), Peter Huber (Wirt in Bruneck) und Hofer korrespondierten mit Erzherzog Johann und seinem vertrauten Beamten Hormayr, bzw. es reisten die Tiroler mehrmals nach Wien, um in geheimen Sitzungen - fürchtete man gerade in der Reichshauptstadt französische Spione - die nächsten Schritte zu besprechen. Am Ende der Zusammenkünfte stand ein schriftliches Konzept, das die Grundlage der österreichischen Politik gegenüber Bayern darstellte, also den Widerstand in Tirol organisierte und österreichische Einmarschpläne bei Kriegsausbruch beinhaltete. „Unter anderem sollte nun die Verständigung zwischen den Vertrauten nur noch mündlich erfolgen, Kirchen und Wirtshäuser seien als Kontaktorte zu bevorzugen, von der Geistlichkeit seien nur die Bettelmönche heranzuziehen, Vorräte für das österreichische Militär seien zu schaffen, feindliche Durchzüge durch Tirol zu vereiteln."[32] Dieses Konzept war erwiesenermaßen dem Kaiser vorgelegt worden „Dadurch ist wohl unbestritten festgehalten, dass der Aufstand Tirols nicht etwas Isoliertes und Spontanes war, sondern das offizielle Österreich die wesentliche Urheberschaft für sich in Anspruch nehmen konnte."[33] Ob wirklich die Kreise um Erzherzog Johann und Hormayr die entscheidenden Planungen für die Erhebungen getroffen haben, wage ich zu bezweifeln, jedenfalls unterstützten und ermunterten sie die Tiroler vehement dazu. Erzherzog Karl, Kaiser Franz und der Wiener Hochadel hingegen standen dem gesamten Unternehmen äußerst reserviert gegenüber, erachteten aufgrund des Pressburger Friedens die Situation in Tirol bzw. Bayern als rechtens und wollten sich von der Kriegseuphorie nicht recht anstecken lassen. „Dennoch ist wahrscheinlich, dass Erzherzog Johann in Andreas Hofer selbst ein Gefühl erweckt haben muss, als sei er, der Sandwirt, zur Führung der bewaffneten Bauern seitens Österreich legitimiert. Hofers >>Selbstbestellung<< zum >>Ernannten Kommandanten<< in den ersten Tagen des Aufstands lässt vermuten, dass Johann und Hormayr ihm in Wien eine Art begrenzte Vollmacht übertragen haben mussten."[34] Für diese Spekulation gibt es zwar keine Beweise, die psychologische Folgewirkung der Audienzen bzw. Konzepte dürfte für den einfachen Wirt Hofer aber eine enorme gewesen sein.
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