Fünfzehn Lebensmittelläden versorgten vor 100 Jahren die Landecker Bevölkerung

Aus dem Adreßbuch von 1903

Vor 100 Jahren kam im Rahmen des Österreichischen Zentralkatasters mit dem 7. Band erstmals für Tirol und Vorarlberg ein Adreßbuch [1] heraus, das sämtliche Handels- und Gewerbebetriebe sowie die ansässigen Freiberufler auflistete. Vorweg kann gesagt werden, nahezu in jedem Haus im Ortszentrum von Landeck ein Geschäft oder Gewerbe etabliert war. Von den insgesamt 184 verzeichneten Betrieben existieren heute nur noch 14. Es sind dies neben den beiden Industriebetrieben: die Apotheke des Mag. Hochstöger, die Spar- und Vorschußkasse, die Baufirma Pümpel, die Bäckereien Haag und Huber, die Eisenwarenhandlung Corda Geiger, die Metzgerei Zangerl, die Wirte Straudi und Graber, die Konditorei Wiedmann und die Gerberei Trenkwalder. Hiezu muß man die Bestattung Dellemann zählen, damals allerdings noch als Spenglerei und Glaserei. Drei weitere Betriebe haben erst vor kurzem ihre Tore für immer geschlossen, die Glaserei und Spenglerei Nötzold und die Schneiderei, bzw. das Handelsunternehmen Grafl sowie der Malerbetrieb Greuter.
Und nun ein Auszug aus dem Adreßbuch, nach welchem Landeck 2.227 Einwohner hatte. Durch die nur mehr teilweise vorhandene Meldekartei in Landeck ist eine genaue Standortbestimmung der Geschäfte und Betriebe nicht möglich.
Drei Ärzte, Dr. Johann Prucker, Dr. Josef Thuille und Dr. Josef Huber versorgten die 2.227 Einwohner der Ortsgemeinde Landeck. Dazu kamen mit Rechtsanwalt Dr. Hans Gabl, dem Notar Dr. Adolf Comployer, dem Apotheker Mag. Carl Hochstöger und Ing. Langhoffer als Elektrizitätswerkunternehmer und Fabriksdirektor vier akademisch gebildete Unternehmer.
Von den ehemals vier Malerbetrieben (Ehrenreich Greuter, Franz v. Scarpatetti [2] , Anton Fritz und Josef Plattner). existiert heute keiner mehr.
Bäckereien gab es ebenfalls vier: den Witwenbetrieb Katharina Haag [3] , Franz Handle, beide in der Maisengasse, Josef Alois Raggl in der Malserstraße und Heinrich Huber in Bruggen. Als ausgesprochene Brothändlerinnen waren Anna Gaudenzi und Aloisia Streng tätig. Heinrich Huber betrieb zudem noch ein Sägewerk und eine Mühle sowie den Handel mit Viktualien und Spezereiwaren. Die damals einzige Konditorei, die auch heute noch besteht, hatte Eugen Wiedmann inne.
Neben der Baufirma Pümpel werkte Hans Sieß als Baumeister in der Malserstraße 76. Dazu kamen die Maurermeister Ferdinand Platt und Peter Biedermann. Zimmereibetriebe führten Alois Plattner und Alois Schlatter.
Den einzigen Buchdruckereibetrieb leitete Josef Weth, der auch mit Galanteriewaren und Fotoartikeln handelte. Mit Hans Buchmayr und Hermann Schwaiger waren zwei Fotografen ansässig; der eine hatte sein Geschäft im Pesjakhaus in der Maisengasse, der andere in einem Gartenhäuschen in der Malserstraße 76. Ein weiterer Händler von Fotoartikeln war Jacques Bettenhauser.
Eisen- und Metallwarenhändler gab es zwei, Cordula Geiger und den Spenglermeister Alois Erhart. Der letztere war damals noch in Bruggen ansässig und erwarb erst 1911 das Haus in der Spenglergasse 3 [4] . Neben dem Handel arbeitete er auch als Spengler- und Glasermeister. Als solcher war auch Max Nötzold tätig. Eine Spenglerei und Glaserei hatte auch Josef Dellemann, der später seinen Arbeitsbereich um das Bestattergewerbe erweiterte.
Sarghändler war vor 100 Jahren Tischlermeister Nikolaus Walter in der Maisengasse. Mit Johann Kathrein, Josef Stapf und Johann Zangerl gab es weitere Tischlermeister.
Josef Straudi, der Vater des Wirtes Johann Straudi ist als Tierarzt genannt. Josef Lenz war der einzige Rauchfangkehrermeister.
Zahlreich waren die Gemischtwarenhandlungen. Franz Baumann, Anton Handle, Maria Pfandler, Josefa Mauroner, Josef Alois Raggl und Vinzenzia Lenz hatten ihre Geschäfte in der Malserstraße. In Angedair gab es noch Engelbert Handle, Maria Lechner, Katharina Trenker und Rosalia Weisjehle. In Perfuchs hatten Peter Zangerl, Josefine Spiss und Alois Wachter ihre Geschäfte, in Bruggen Ehrenreich Erhart und in Perjen Ludwig Schueler. Mit dem Obst- und Gemüsehandel befaßten sich Brigitta Marth und Franziska Schmid.
Mit Wein- und Spirituosen handelten Alois Bradlwarter, Anton Gleissner, Ignaz Mairhofer und die schon bei anderen Sparten genannten Ludwig Schueler, Heinrich Gurschler, Franz Baumann, Franz Hafele, Anton Handle, Maria Lechner, Maria Pfandler und Eugen Wiedmann.
Drei seltene Gewerbe hatten ihren Sitz in Perfuchs; der Buchbinder Johann Böck, der Färber Josef Traxl und die Hutmacherinnen Witwe Maria Kopp mit ihrer Tochter Genovefa. Als Modistinnen sind in Perfuchs Amalia Tröber und in Angedair Maria Lechner eingetragen.
Mit Mag. Carl Hochstöger, Heinrich Gurschler und Johann Krismer gab es auch drei Sodawassererzeuger.
Als Metzger gab es in Angedair lediglich Franz Zangerl, in Perfuchs die Witwe Anna Gurschler und in Perjen Johann Lechleitner.
Zahlreicher waren die Schuster. Allein in Angedair waren es deren elf. Alois Bregenzer, Jakob Domainko, Konrad Mungenast, Josef Mutter, Engelbert Patscheider, Johann Plattner, Josef Schreiber, Heinrich Staudacher, Josef Thurner, Andreas Weißhäupl und 1903 neu angemeldet, Heinrich Schoiswohl. In den übrigen Ortsteilen waren ansässig, Peter Dander, Tobias Erhart, Franz Lestina und Johann Pircher.
Das einzige Geldinstitut in Landeck war die Spar- und Vorschußkassa Landeck, die damals ihre Geschäftsstelle in Perfuchs hatte.
Der einzige Viehhändler hieß Karl Linz; der einzige Wasserleitungsinstallateur Anton Maurer; die einzige Tabaktrafik führte Ludwig Schueler; der einzige Steinmetz hieß Franz Walch und der einzige Hafner Johann Gottardi.
Sattler und Tapezierer gab es drei; Josef Fischer, Josef Netzer und Konrad Speiser.
Die Friseure waren zum Unterschied von heute nicht so zahlreich. Es gab in der Malserstraße Nr. 7 den Salon des Ferdinand Lenfeld und in der Maisengasse den des Otto Vorhofer.
Drei Uhrmacher waren ansässig: Josef Simmerle, Johann Weiskopf und Johann Helfer. Letzterer handelte auch mit Gold- und Silberwaren. Diesen Handelszweig übte auch die Witwe des Franz Jung aus.
Die beiden Seilermeister Josef Kolb und Johann Walch hatten ihren Sitz in der Maisengasse.
Mit dem Möbel- und Spielwarenhandel befaßten sich Adolf Keller, Vater und Sohn.
Da es damals noch keine Konfektionsware gab, hatten mehrere Schneider einen Broterwerb. Johann Grafl, der auch einen Manufakturwarenhandel betrieb, Johanna Scholin, Georg Sommer, Johann Tiefenthaler, Franz Weierberger, alle in Angedair sowie Max Zangerle in Perjen. Ausgesprochene Damenschneiderinnen waren Lina Wanschura und Anna Fromm. Mit Manufakturwaren handelte auch Maria Eppich.
Schmiede gab es zwei; in der Maisengasse den Witwenbetrieb der Anna Kölle und Stephan Ruf. Dazu kam als Kupferschmied ebenfalls in der Maisengasse Johann Krismer. Eigenartigerweise ist der Huf- und Wagenschmied Karl Schimpfössl im Adreßbuch nicht erwähnt, obwohl sein Betrieb neben der Eisenwarenhandlung der Corda Geiger auf einem Foto aus dieser Zeit dokumentiert ist.
Schlossereien gab es ebenfalls zwei: Karl Unterrainer und den Witwenbetrieb nach Oswald Wohlfarter.
Schließlich sind noch zwei Kunstblumenhändler vermerkt: Brigitte Marth und Josef Schmid.
Von den beiden Gerbereien des Josef Alois Probst und des Martin Trenkwalder ist heute nur mehr die letztere in Betrieb.
Zahlreicher waren wiederum die Wirte. In Angedair Karoline Bregenzer (Schrofenstein), die auch mit Kolonialwaren handelte, Josef Fischnaller (Schwiegersohn der Schrofensteinwirtin), Josef Kopp, Josef Müller (Post), Josef Netzer (Schwarzer Adler), Elise Spötl (Weinstube), Johann Straudi (Greif), der auch ein Dienstmännerinstitut inne hatte, Christian Stubmayr (Goldener Adler) und Julius Vorhofer (Goldenes Faßl); in Perfuchs Johann Pircher (Arlberg), Anna Gurschler (Löwen), Anna Künzle (Bierkeller), Agnes Ladner (Stern), Josef Nigg (Sonne), Alois Wachter (Veteranen); in Bruggen Rudolf Scherl (Alpenheim), Heinrich Carnot (Traube), in Perjen Josef Rudig (Hirschen), Greber Josef (Nußbaum) und Karl Schuler (Adler). Nur mehr in zwei Betrieben sind noch Deszendenten der Eigentümer vor 100 Jahren tätig.
Das heute nicht mehr existente Gewerbe des Kostgebers führten Josefa Schrott in Angedair und Metzgermeister Johann Lechleitner in Perjen aus.
Ebenfalls nicht mehr vorhanden sind die Pferdelohnfuhrwerker. In Angedair gab es mehrere Anbieter. Kaspar Eiter, Ignaz Haselwanter, Postmeister Josef Müller, Schwarzadlerwirt Anton Netzer, Bäckermeister Josef Alois Raggl und die Goldadlerwirtin Franziska Unterrainer. In Perfuchs waren tätig der Wirtshauspächter Josef Fischnaller, Franz Spiss und die Witwe Kreszenz Spiss.
Bei einem Vergleich mit den heutigen Gegebenheiten können wir feststellen, daß nahezu die gesamte Wertschöpfung aus Handel und Gewerbe im Ort geblieben ist. Damit verbunden war ein vielfältiges Angebot an Arbeitsplätzen und Lehrstellen. Dies hatte zur Folge, daß damit auch ein sehr geringes Verkehrsaufkommen erforderlich war. Heute sind wir abhängig von den multinationalen Konzernen, die uns, egal in welcher Sparte, einen Einheitsbrei servieren, der von Hamburg bis Palermo und von Lissabon bis Moskau reicht. In den europäischen Städten sind die gleichen Geschäfte mit den gleichen Waren zu finden, lediglich die Reihenfolge der Läden in den Straßen ist eine andere. Die Herkunft der Waren ist oft nicht nachvollziehbar, wir wissen nicht, ob die Lebensmittel genverändert oder aus Haltbarkeitsgründen denaturiert sind. Bei den billig angepriesenen Kleidungsstücken, die wir bedenkenlos erwerben, muß man annehmen, daß sie vielfach durch Kinderarbeit im fernen Osten hergestellt worden sind. Die in Jahrhunderten gewachsenen Strukturen in den Städten und Dörfern gehen zugrunde, die Dorfkerne veröden, weil sich die neuen Geschäfte in den Randzonen ansiedeln, wo sie großzügig Parkplätze anbieten können. Arbeitsplätze, meist in Teilzeit und wenig qualifiziert, befinden sich am Rand der Ballungszentren; Pendlerschicksale und Verkehrsbelastung sind die traurige Bilanz.

Haben wir das gewollt?

Neben der im Adreßbuch genannten Eisenwarenhandlung der Corda Geiger (das Firmenschild trägt den Namen ihres Vaters Jakob) werkte im Nebengebäude der Huf- und Wagenschmied Karl Schimpfössl. Im Obergeschoß der Schmiedewerkstatt hatte der Schneidermeister Karl Plattner seinen Betrieb; er stellt sich dem Fotografen auf dem Balkon. Eigenartigerweise ist auch er nicht im Adreßbuch verzeichnet. Demnach sind nicht alle Betriebe lückenlos erfaßt worden. (Foto: Stadtarchiv Landeck)

Auf den Artikel hin sprach mich Josef Wilhelm an und sagte, im ersten Stock des Nebengebäudes war nicht der Schneidermeister Karl Plattner, sondern dessen Bruder, der Schuster Josef Plattner tätig. Der Schneidermeister Karl Plattner habe seine Werkstätte in der Dependance des Hotels ‚??Post‚?? gehabt. Die ursprüngliche Aussage habe ich von seinem Bruder Gottfried Wilhelm erhalten. Die Mutter der beiden Wilhelm-Brüder war eine geborene Plattner, die Tochter des Josef.

 

Auswechslung der großen Eisenbahnbrücke über den Inn vor 100 Jahren

Zwanzig Jahre nach Inbetriebnahme der Arlbergbahn mußte die Eisenbahnbrücke in Landeck durch eine neue, tragfähigere, ersetzt werden.
Nach hundertjährigem Bestand soll in nächster Zeit um 15 Millionen Euro eine Generalsanierung der Brücke und der Viadukte, verbunden mit der Erstellung von Lärmschutzwänden erfolgen. Eines der Wahrzeichen von Landeck erhält dadurch ein anderes Aussehen.
Anläßlich der Auswechslung des Tragwerkes der Eisenbahnbrücke in Landeck im Juni 1904 erschien in den Tiroler Stimmen, Nr. 158, am Donnerstag, dem 4. Juli 1904 folgender Artikel:
Schon seit geraumer Zeit war ein gutes Gewissen für die Reisenden, welche unsere Brücke passierten, nötig, denn an derselben hatten sich an den wichtigsten Bestandteilen geradezu beunruhigende Deformationen gebildet, welche eine schleunigste, ganz umfassende Verstärkung und Verspannung notwendig machten. Bei der ersten Untersuchung zeigte sich aber, daß man unbedingt zur vollständigen Erneuerung des Bauwerkes schreiten müsse. Die Schuld, daß dieses Objekt kein höheres Alter als 20 Jahre erreichte, war allzu große Sparsamkeit in Bezug auf Material und Konstruktion schon bei der Anlage desselben. Dafür berechtigt aber die nun eingeführte neue Brücke auf ein höheres Alter zu hoffen, da sie nach den allerneuesten Vorschriften, welc he erst in der nächsten Zeit als allgemein bindende Norm für den Bau von Eisenbrücken in Österreich erscheinen werden, gebaut wurde und beispielsweise mit einem Gewichte von 240 . 000 Kilogramm, um die Hälfte schwerer ist. Die Erbauung dieses neuen Werkes wurde der Witkaritzer Brückenbauanstalt übergeben.
Das seltene Schauspiel der Auswechslung der schadhaften alten Brücke durch eine allen modernen Anforderungen entsprechende neue, hatte viele Beobachter angelockt. Von Innsbruck waren Herr Staatsbahn-Oberinspektor Heinrich Tichy und Herren des Technischen Klubs erschienen, auch die militärtechnischen Behörden hatten ihre Vertreter entsendet. Montag abends standen das stolze neue Bauwerk und das dem Tode geweihte fix und fertig auf eigens hiezu gebauten kleinen Rollwägelchen, auf welchem die alte, von der 20 Jahre innegehabten Lage, gegen Süden auf die an beiden Enden errichteten Holzgerüste und die neue, von ihrem vom Talgrunde aus gebauten großartigen Gerüste auf die bisherigen Pfeiler der alten Brücke eingeschoben werden sollten. Bis zur Dunkelheit wurden noch die letzten kleinen Vorbereitungen fertiggestellt. Dienstag früh 5 Uhr sollte die Verschiebung beginnen.
Wenige Minuten vor 5 Uhr passierte noch der letzte Zug vom Ländle her die Brücke, dann ging es sofort mit derartiger Präzision an die Arbeit, daß die alte Brücke bereits um 05 Uhr 45 auf die für sie vorbereiteten Holzjoche überschoben war und die Verschiebung der neuen bereits 6 Uhr 08 Minuten begonnen werden konnte. Dank der ausgezeichnet umsichtigen Vorbereitung und dem ebenso überlegten ruhigen Zusammenwirken aller Beteiligten war auch die neue Brücke ohne Zwischenfall um 7 Uhr 15 bereits soweit auf ihrem neuen Standort, daß mit dem Anschluß der Schienen auf der Fahrbahn begonnen werden konnte. Derselbe mußte allerdings noch einmal unterbrochen werden, da die Brücke der Länge nach um 90 mm und der Breite nach um zirka 10 mm verschoben werden mußte, aber auch diese Arbeiten wurden so schnell bewältigt, daß um 9 Uhr 33 Minuten die Lage der Brücke und um 10 Uhr 15 der Oberbau fertig war, worauf sofort der aus 3 Lokomotiven schwerster Sorte und mit drei angehängten, gefüllten Waggons zusammengestellte Probebelastungszug in das neugebaute Objekt einfuhr. Dieser Zug repräsentierte die respektable Schwere von zirka 230 000 Kilogramm. Das neue stolze Bauwerk hat die Probe brillant bestanden. Die zulässige Einsenkung der Konstruktion wurde mit 34 mm berechnet; das Ergebnis der Probe war aber nur eine Einsenkung von 30 mm und hievon nur eine bleibende Einsenkung von 2 mm, was ja als 0 bezeichnet werden muß. Allgemein wurde dem anwesenden Chef der Witkowitzer Brückenbauabteilung, welcher persönlich die ganz interessante Arbeit geleitet hatte, Herrn R. v. Mertl gratuliert. Der um 11 Uhr 03 von Landeck gegen Bregenz abgehende Eilzug fuhr als erster über die Brücke, und damit hatte das schöne technische Schauspiel sein Ende erreicht. Lange wird man noch beide Brüc k en nebeneinander sehen können, da zur Abmontierung der alten erst vom Tal aus ein Gerüst gebaut und mit dem Beginn dieser Einrüstung auf kleineren Wasserstand des Inns gewartet werden muß .
Möge der Schutz Gottes bl eibend auf dem neuen Werke ruhen .

Anläßlich der Erstellung des Baugerüstes hatte es bereits einen tödlichen Arbeitsunfall gegeben. Einen weiteren Todesfall gab es einen Tag vor der Auswechslung des Tragwerkes. Die Tiroler Landzeitung Nr. 28, vom 7. Juli 1904 brachte folgende Notiz:
Der Eisenbahnbrückenwächter Johann Kratochvil stürzte in der Nacht auf den dritten d. M. von der Eisenbahnbrücke, welche demnächst durch eine neue ausgewechselt werden soll, in den Innfluß hinab. Als ein anderer Wächter morgens gegen 5 Uhr einen Kontrollgang machte, sah er Kratochvil regungslos unten an der Arche liegen. Der Verunglückte hinterläßt eine trauernde Witwe mit 7 Kindern, von denen das jüngste im 9. Jahre ist. Bereits wenige Wochen vorher war beim Bau des Gerüstes ein Arbeiter in den Inn gestürzt und ertrunken.

Vor 100 Jahren begann in Landeck das Elektrozeitalter [5]

Wirtschaftliche Not, ein weitblickender Pianner Bürger, ein glückliches Zusammentreffen mit einem böhmischen Industriellen und ein investitionsfreudiger Schweizer Fabrikant bildeten die Grundlage zum Bau des Wiesberger Kraftwerkes und der Landecker Fabriken.
Nach dem Bau der Arlbergbahn hörte der Durchgangsverkehr auf den Landstraßen schlagartig auf und damit auch der Verdienst für die ortsansässigen Fuhrwerker und für die diesen dienenden Handwerker, wie Wagner, Schmiede, Sattler, aber auch für die Gastwirte und Bauern soweit sie mit ihren Fuhrwerken Vorpanndienste leisteten. In Pians gab es beispielsweise 20 Gewerbebetriebe, die innerhalb kurzer Zeit vor dem wirtschaftlichen Ruin standen. Der bedeutendste unter ihnen, Alois Pöll, der neben einem Gasthof auch einen regen Weinhandel betrieb, hatte nicht weniger als 42 Paar Pferde im Stall stehen, die nun nicht mehr gebraucht wurden. Auswanderungen nach Übersee, saisonale Beschäftigungen der Männer in der Schweiz und in Deutschland sowie die Kinderarbeit im Schwabenland erreichten traurige Höhepunkte.
Der Seilermeister Josef Krautschneider aus Pians hatte 1890 nach seinen Wander- und Gesellenjahren in seiner Heimatgemeinde eine Werkstätte eröffnet. Sechs Jahre später übertrug ihm die Gemeinde das Amt des Vorstehers, und ein Jahr darauf, am 10. Juli 1897, kam er mit dem Industriellen Heinrich Just ins Gespräch, der sich für die Nutzung der Wasserkraft an der Sanna interessierte, die zwischen Wiesberg und Landeck ein starkes Gefälle aufweist. Heinrich Just hatte als Vorstand der Alpenvereinssektion Asch in Böhmen, die 1895 die Ascherhütte errichtet hatte [6] , in Pians Aufenthalt genommen. Er stand in Geschäftsverbindung mit dem Schweizer Textilfabrikanten Jean Paravicini-Jenni, der in Österreich wegen der hohen Einfuhrzölle einen Standort für eine Fabrik suchte.
Es entspannte sich ein reger Briefwechsel, in dem Paravicini sein Vorhaben zur Nutzung der Wasserkraft und zum Bau einer Fabrik bekräftigte. Die Gemeinde Pians gab ihre Zustimmung unter folgenden Bedingungen: 1. die Bauarbeiten sollten bis 1. Mai 1898 beginnen und 80 Arbeiter beschäftigen. 2. ansässige Arbeiter sollten fremden vorgezogen werden. 3. bei Verfügung von Kurzarbeit müßten die Arbeiter pro Woche an drei Tagen beschäftigt werden. 4. der Gemeinde sind alle Kosten, die ihr durch den Bau und Betrieb der Fabrik entstehen, zu vergüten. 5. an Sonn- und Feiertagen sowie an zwei Ortsfeiertagen [7] ist den Bediensteten die Teilnahme an den Gottesdiensten zu gestatten. 6. alle vorgenannten Bedingungen gelten auch für die Rechtsnachfolger.
Paravicini akzeptierte diese Bedingungen, die später noch in einigen Punkten erweitert wurden und leitete die Planungen ein. Doch nun türmten sich zahlreiche Hindernisse auf. Die betroffenen Nachbargemeinden Grins und Strengen sowie die Fraktion Wiesberg, als auch zahlreiche private Grundeigentümer mußten für das Vorhaben gewonnen werden, denn auf Grund von Wassermessungen sollte das Werk nicht an der Sanna, sondern am Zusammenfluß der Bäche aus dem Paznaun und dem Stanzertal entstehen. Und für die Nutzung der Rosanna hatte sich die k.k. Staatsbahn alle Rechte gesichert. Auch die Fischereirechte an beiden Flußläufen bis St. Anton, bzw. Galtür waren zu berücksichtigen.
Anläßlich der Unterbreitung des Vorhabens bei der Behörde, spielte Bezirkshauptmann Dr. Eduard Schueler [8] von Landeck eine unrühmliche Rolle. Als am 4. Mai 1898 die Schweizer Delegation mit Jean Paravicini, dem Kantonspräsidenten Galotti von Glarus und Oberingenieur Lanhoffer aus Mühlhausen wegen der wasserrechtlichen und gewerblichen Bewilligungen vorsprach, war er auf den Besuch nicht vorbereitet und wollte die Gäste kurz und bündig abfertigen. Josef Krautschneider hatte schon bei der Terminanmeldung die desinteressierte und abweisende Haltung des Bezirkshauptmannes bemerkt und hatte vorsorglich den Landecker Postmeister Josef Müller und die Gerichtsbeamten Commissar Cornel und Dr. Porloger um Unterstützung gebeten. Die Bezirkshauptmannschaft befand sich damals mit dem Bezirksgericht in der Gerburg in Perfuchs. Gerichtsvorsteher Dr. Tschurtschenthaler und seine beiden Beamten empfingen nun in festlicher Bekleidung und in gebührender Form die Gäste aus der Schweiz und retteten damit die peinliche Situation.
Unmittelbar danach begannen die konkreten Vorarbeiten, die 18 Monate dauerten und die Realisierung des Projektes mehrmals in Frage stellten. Am 7. Februar 1899 fand die letzte Verhandlung statt, bei der an Ort und Stelle einhellige Zustimmung erzielt werden konnte. Als sich danach die Kommission zur Protokollierung im Hotel Post zusammensetzte, hielt der Zammer Reichsratsabgeordnete Alois Haueis eine flammende Gegenrede, die in einen Tumult ausartete. Doch letztlich hatte sein Appell keinen Erfolg. Nun waren noch zwei Hürden zu überwinden. Die k.k. Staatsbahn trat erst in letzter Minute ihre Rechte an der Rosanna ab, und die Statthalterei in Innsbruck ließ sich nach mehreren Interventionen herbei, die ursprünglich auf 30 Jahre befristete Konzession auf 90 Jahre zu verlängern.
Am 4. November 1899 hatten die Initiatoren den endgültigen Bescheid in ihren Händen, dem Baubeginn stand nichts mehr im Wege. Ing. Lanhoffer hatte allerdings inzwischen mit deutschen und französischen Kapitalgebern eine eigene Gesellschaft (Conti) [9] gegründet, während sich Paravicini auf den Textilbereich beschränkte. So entstanden zwei Fabriken in Landeck und veränderten in wenigen Jahren das soziale Gefüge der bisher bäuerlich geprägten Gemeinde.
Das Kraftwerk Wiesberg war das erste in der Talsohle erbaute Großkraftwerk Österreichs und für einige Zeit das größte und leistungsfähigste der gesamten Monarchie. Drei 2000 PS Francis-Turbinen trieben die von Siemens/Halske gelieferten Generatoren an. Sensationell war die Ausgangsspannung von 12000 Volt, die infolge von Isolationsschwierigkeiten später auf 4.300 Volt herabgesetzt werden mußte.
In der ersten Baustufe kam es nur zur Nutzung der Trisanna mit einer Leistung von 4500 KW, die für den Bedarf der Textil AG, für die Karbiderzeugung, für die Anrainergemeinden und für einige Gewerbebetriebe reichte. Erst 1908 ging auch die Nutzung der Rosanna in Betrieb, womit die Tagesleistung auf 8000 KW erhöht werden konnte.
Zu den Gemeinden, die schon vor hundert Jahren in den Genuß von elektrischem Strom kamen zählten: Pians, Grins, Landeck und Zams; hinzu kamen noch die Weiler Burgfried, Giggl, Rauth, Frödenegg und Platils, sowie die Stellwerk- und Signalanlagen der Bahnhöfe von Landeck, Pians und Strengen. Auf Grund von Servitutsrechten mußte das Werk auch die Straßen- und Kirchenbeleuchtung der betroffenen Gemeinden und die Beleuchtung der Armenhäuser von Pians und Grins kostenlos zur Verfügung stellen.
Der Gemeinderat von Landeck stellte in seiner Sitzung am 12. Jänner 1902 mit Genugtuung fest, daß der Stromliefervertrag mit dem Wiesberger Werk der Gemeinde außerordentliche Vorteile bringe. So installierte die Conti der Gemeinde ein volles Netz für die Straßenbeleuchtung in den engeren Ortschaften Angedair, Perfuchs, Perjen und Bruggen in einer Anzahl von vorläufig 80 sechzehn-Normal-Kerzen starken Glühlampen vollkommen kostenlos auf die ganze Zeit der Konzessionsdauer, und verpflichtete sich, bei Bedarf die Anzahl der Lampen auf 120 zu erhöhen und kostenlos zu erhalten um den Anerkennungszins von 2 Kronen per anno. Weitere 46 Glühlampen stellte die Conti für die Beleuchtung der Kirche, der Schule, des Turnsaales und des Gemeindeamtes auf die Dauer von vier Jahren bis zum Abschluß eines Spezialvertrages kostenlos zur Verfügung. Die einzige Gegenleistung der Gemeinde Landeck bestand in der Bewilligung zum Aufstellen der Masten der Hochspannungsleitung von Wiesberg zum Werk Landeck auf dem Gemeindegebiet sowie die niedergespannte Verteilerleitungen in den Ortschaften.
Die Tiroler Landzeitung gab in der Nr. 14 vom 1. April 1902 bekannt, daß die Wasserwerke Wiesberg die Stromlieferung nach Landeck bereits aufgenommen habe. Damit zählte Landeck vor 100 Jahren zu den Ausnahmegemeinden mit einer vorbildlichen Stromversorgung.

Georg Zobl

 


[1] Landesarchiv Innsbruck, Bibliothekstück 429
[2] ein Neffe des Gerichtsschreibers Romed v. Scarpatetti; ihm gehörte das heutige Haus der Bank für Tirol und Vorarlberg
[3] Der Firmengründer Johann Baptist Haag, seit 1861 in Landeck ansässig, war 1894 gestorben
[4] Verfachbuch Landeck 1911, Folio 2470
[5] Als Quellen zu diesem Artikel dienten die persönlichen Aufzeichnungen von Josef Krautschneider und die Chronik des Werkes Wiesberg
[6] Die Sektion Asch hatte am 17.10.1894 von der Alpinteressentschaft Versing um 15 fl. pro m² den Grund erworben. Verfachbuch Landeck 1894, Folio 1950
[7] Allerseelen und der Nikolaustag am 6. Dezember
[8] Er war vom 28.1.1885 bis 19.9.1899 Bezirkshauptmann in Landeck
[9] die volle Firmenbezeichnung lautete: Continentale Gesellschaft für angewandte Elektrizität. Der Kurzname Conti ist auch heute noch gebräuchlich.