Kurze Biographie und zur Erklärung der Wichtigkeit des Michael Gaismair

In der historischen Internetenzyklopädie „aeiou" findet sich nur ein bescheidener Eintrag. Geboren 1490 in Tschlöfs bei Sterzing, ermordet am 15. 4. 1532 in Padua wird Gaismair hier irreführend als alleiniger Anführer des Tiroler und Salzburger Bauernkriegs bezeichnet. Zweifelsohne stellte Gaismair in den Jahren 1525/26 eine wichtige Persönlichkeit dar, dennoch war er nicht die zentrale und einzige Leitfigur jener Unruhen. „Sohn eines Bergbauunternehmers, Schreiber des Landeshauptmanns, Sekretär des Bischofs von Brixen. Gaismair stellte sich im Mai 1525 an die Spitze des Aufstands in Südtirol, erzwang im Juni 1525 einen Landtag in Innsbruck, wurde im August eingekerkert, konnte im Oktober entfliehen, ging nach Graubünden, wo er eine Tiroler Landesordnung ausarbeitete, in der eine vollkommene politische Umgestaltung und die Republik gefordert wurden. Im Frühjahr 1526 zog er mit einer Truppe nach Salzburg, wurde aber bei Radstadt besiegt, entkam mit einer größeren Schar über die Hohen Tauern nach Lienz, fiel ins Pustertal ein und trat dann auf das Gebiet von Venedig über. Am 15. 4. 1532 wurde er in Padua von früheren Freunden ermordet. Er war der einzige Bauernführer, der strategisch politische Ziele verfolgte."[1] Der letzte Satz kann so nicht verifiziert werden, denn der Tiroler Bauernkrieg reiht sich in ein Phänomen ein, das sich in mehreren Gebieten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ereignete - es existierten also andere „Bauernführer" wie etwa Thomas Münzer, die sehr wohl strategisch politische Ziele verfolgten. Trotz dieser rapiden Zusammenfassung ist Michael Gaismair eine der zentralsten Persönlichkeiten für ein Tiroler Geschichts- und Identitätsbewusstsein, da sich der typische Tiroler selbst gerne als wehrhaften Opportunist sieht, der sich nicht alle Schikanen der Obrigkeit gefallen lassen kann, und sich daher leicht tut mit einem Mann zu identifizieren, der sich aus angeblich edlen Motiven gegen oligarchische Strukturen zur Wehr setzen versuchte. „Gaismair, der anfangs die Rechte des Fürsten keineswegs beschneiden wollte, verteidigte auf eine konsequente Art den Freiheitswillen des einfachen Tirolers. Zu einem Revolutionär wurde Gaismair erst durch die Verachtung, die Arroganz und den Wortbruch des Landesfürsten den >>kleinen<< und meist rechtlosen Menschen gegenüber. [...] Er stand nie auf der Seite der Mächtigen, der Habsburger, und verkörperte einen revolutionären und tiefgläubigen Menschen, der sich mit den Geknechteten solidarisch wusste."[2] Der Tiroler „Revolutionär" ist also tiefkatholisch, von sozialen Motiven bzw. Mitleid mit den Ärmsten in seinem Widerstand geleitet, nicht prinzipiell pubertär anarchistisch, sondern Heimat verbunden und lediglich in letzter Instanz zu zivilem Ungehorsam oder militärischem Aufstand durch die Nächstenliebe Jesu verpflichtet - das ist sicher ein Trugschluss, aber diese bequeme und auch schmeichelnde (Ein)Bildung wurde über Generationen in den Schulen Tirols und an der Universität gelehrt.

Zurück zu den Fakten. Als Sohn eines Bergwerksunternehmers bzw. Landwirts geboren, war die berufliche Orientierung des jungen Gaismair bereits bis zu einem gewissen Grad vorherbestimmt, denn „[...] die Gaismair Familie gehörte zu den wohlhabenden Bauern- und Bergbaufamilien, die seit Michaels Großvater auch zwei Häuser in Sterzing ihr eigen nannte."[3] Es ist anzunehmen, dass der junge Michael die Sterzinger Lateinschule besuchte, wodurch von einigen Historikern angenommen wird, dass er dort mit Reformgedanken des Humanisten Kardinal Cusanus bekannt gemacht wurde. Über seinen konkreten Bildungsweg liegen aber keine gesicherten Kenntnisse vor. „Der Wert von >>Bildung<< als ein Privileg der oberen und aufstrebenden Schichten dürfte im Hause Gaismair nicht unterschätzt worden sein. [...] Ein Schulmeister unterrichtete ihn in den sieben freien Künsten, wobei der Schwerpunkt wie üblich auf das >>trivum<< gelegt wurde, also auf Grammatik, Rhetorik und Logik."[4] Nach dieser Grundausbildung dürfte Gaismair die Universität besucht und einen juristischen Abschluss gemacht haben, worauf seine spätere Anstellung als Prokurator bzw. Gerichtsschreiber hinweisen - eine der wenigen Möglichkeiten in der damaligen Zeit für einen bürgerlichen Abkömmling Karriere zu machen.

Im Jahr 1512 ist der Erwerb eines kleinen Grundstücks in Schwaz durch Gaismair bezeugt, über die genaue Tätigkeit des Unternehmersohnes liegen dennoch keine Zeugnisse vor, vermutlich aber arbeitete Gaismair dort als Grubenschreiber, wovon ein an Kaiser Maximilian gerichtetes Protestschreiben zeugt, das er und elf andere Autoren verfasst hatten. Leider ist dieses Schriftstück ohne Jahresangabe überliefert, in dem Großgewerken wegen verzögerter Lohnauszahlung und schlechter Münze angegriffen wurden. Auf der anderen Seite hielt Gaismair bis 1527 Anteile an Grubenbeteiligungen in Sterzing, was ihm zu relativem Reichtum verholfen haben muss. „In den bisherigen Studien über Gaismair fanden die Bergbaubeteiligungen fast nur am Rande Erwähnung. [...] Der beachtliche Wert der Anteile, der immerhin drei Jahresverdiensten eines Bergrichters von Sterzing entsprach, sowie die Tatsache, dass Gaismair seine Anteile nicht aufzugeben beabsichtigte, vielmehr neue hinzu erwarb, beweist demgegenüber, dass im unternehmerischen Engagement ein konstitutives Element seiner Persönlichkeit zu sehen ist. Er spekulierte im Montanbereich auf Profit."[5] Wer im Bergbau keine eigenen Hütten besaß, musste das Erz zu schlechten Konditionen an die Schwazer verkaufen, denn diese besaßen bis 1525 den Großteil der Sterzinger Gruben. Es ist daher anzunehmen, dass Gaismair geschäftlich mit den Fuggern zu tun hatte und deren faktisches Monopol kritisch betrachtete, was nachweisbar konkrete Auswirkungen auf das Konzept seiner Landesverfassung hatte. „Die sinkende Rentabilität seiner Beteiligungen und die Unmöglichkeit, sich der wirtschaftlichen Umklammerung zu entziehen, müssen ihn in seinem Widerstand des Mittelstandes gegen das Großkapital, bestärkt haben."[6]

„Durch den Dienst beim Landeshauptmann Leonhard von Völs lernte er die Sorgen der einfachen Leute kennen, galt doch der Graf als Ausbeuter und Bauernschinder."[7] Gaismair arbeitete zunächst als Schreiber im Bergbau und spätestens seit 1518 bei der Landesverwaltung in den Diensten des Leonhard von Völs, der als ranghöchster Beamter Tirols fungierte - er war von Kaiser Maximilian zum Landeshauptmann an der Etsch und zum Burggrafen von Tirol ernannt worden. „Im Jahre 1518 tat sich Völs in Bozen bei der Unterdrückung einer Unruhe unter Müller- und Bäckergesellen sowie Schneidern als besonders unnachgiebig hervor. Er verhandelte nicht, hörte sich auch keine Beschwerden an, sondern versuchte sofort, mit Strafen der Situation Herr zu werden. [...] Die dem Landesfürsten 1525 eingereichten Beschwerdeschriften der Stadt Meran, der Gerichtsleute von Triers, Völs und Kastelruth sowie die Meraner Artikel zeigen, dass der Landeshauptmann zu den vom Volke meistgehassten Männern Tirols gehörte."[8] Die meisten Beschwerdeschriften haben Erhöhungen von Abgaben durch Leonhard von Völs zum Thema, klagen über gestiegene Gerichtskosten, Steuern und Zinse. Der Landeshauptmann förderte sein Privatvermögen durch die damals unter dem Tiroler Adel üblichen Methoden. Ferdinand wollte die Gerichtsbarkeit in Tirol nach römischen Recht umgestalten, wogegen sich Leonhard entschieden zur Wehr setzte und auf dem altdeutschen Recht beharrte, das vor Gericht den Landeshauptmann als ständigen Vorsitzenden etablierte, der seinerseits acht Adelige und je zwei Bürger aus Bozen bzw. Meran zum Rat hinzuzog. Der beamtete Schreiber Gaismair führte während der Verfahren das Protokoll und musste danach die ergangenen Urteile in Urkunden festhalten, wozu er seine juridischen Fachkenntnisse benötigte. „Die Korrespondenz, die Gaismair im Auftrag des Landeshauptmanns erledigte, ist zwar nur spärlich überliefert, aber schon aus den wenigen Schriftstücken kann ersehen werden, dass dem Sekretär die materiellen und machtpolitischen Interessen von Adel und Geistlichkeit nicht verborgen blieben."[9] Leonhard scheint Gaismair protegiert zu haben, ernannte er ihn 1518 zum Unterhauptmann, dieser wiederum muss sich loyal verhalten haben, denn bereits 1524 steigt er in den Rang eines Hauptmanns auf, ein Amt, das im 16. Jahrhundert zu dem Führungschargen in der Militärhierarchie zählt und mit einem beträchtlichen monatlichen Einkommen verbunden war. „Mit der Beförderung zum Hauptmann hatte sich Gaismairs Stellung innerhalb der mittleren Beamtenschaft Tirols entscheidend gefestigt. Sein aufstieg erscheint umso beachtenswerter, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich der Gewerkensohn unter Angehörigen so einflussreicher und vermögender Adelshäuser wie Spaur, Thun und Frundsberg hatte behaupten müssen, bzw. in den traditionell dem Adel vorbehaltenen Führungspositionen des Heerwesens vorwärts gekommen war. [...] Mit der Rangerhöhung war für Gaismair gleichzeitig der Adelsbrief in greifbare Nähe gerückt."[10]

Ab 1524 war der Traum von einer Adelskarriere geplatzt, denn Gaismair wurde bezichtigt, 280 Gulden, welche er für die Anwerbung von Knechten erhalten hatte, unterschlagen zu haben. In einer Untersuchung musste jeder ausbezahlte Gulden nachgewiesen und protokolliert werden. Über den Ausgang der Verhandlung liegen keine Quellen vor, aber Gaismair beendete seinen Dienst beim Landeshauptmann und fand ab 1525 als Sekretär des Fürstbischofs von Brixen Verwendung. Dieser finanzielle bzw. soziale Abstieg dürfte kaum ein freiwilliger gewesen sein. Gerüchte über seinen angeblichen luxuriösen Lebensstil, seiner Hochzeit mit baldig einhergehender Vaterschaft scheinen die Unterschlagungsvorwürfe glaubwürdig sein zu lassen - die Vorwürfe, dass er sich im Rahmen des Brixner Aufstandes im 1525 erneut selbst bereichert hatte, deuten in die selbe Richtung. Gaismair erhielt einen unteren Schreibposten in der Registratur des Bischofs, war als nur sein Hilfssekretär, in dessen Rahmen er mit externen Angelegenheiten betraut wurde bzw. musste sich mit einem kleinen Monatsgehalt von 60 Gulden, einem Pferd und einem politisch einflusslosen Amt zufrieden geben.